Apotheker in der Literatur

Von 1998 – 2011 haben Literaturfans beim Blick durch ein Schaufenster der Rigi Apotheke immer wieder Erhellendes, Spannendes und Grausiges aus der Welt des Apothekers lesen können. Der Betrachter konnte sich ein Bild machen von der Präsenz der heilenden, manchmal aber auch unheimlichen Apotheker-Kunst in der Literatur. 45 Texte aus einem Zeitraum von über 400 Jahren wurden präsentiert. Für Konzept, Gestaltung und Ausführung der Fenster war Anita Siegfried verantwortlich.

Der Komet oder Nikolaus Marggraf: Eine komische Geschichte

von Jean Paul

Der Komet oder Nikolaus Marggraf: Eine komische Geschichte

«Siebentes Kapitel, oder der zwanzigkaratige Grundstein zur Geschicht wird gelegt. Ein echter Diamant war im chemischen Ofen fertig geworden und funkelte umher; damit kann schon ein siebentes Kapitel beschliessen, das zehntausend neue beginnt.

Achtes Kapitel, oder wie der Diamant echt und hart befunden wird Der Apotheker zog mit einer Zange die blitzende Schlacke heraus und liess den Stößer mit einem Hammer wacker darauf einschlagen: der Stein hielt sich. Er liess ihn festkneipen und feilte daran mit einer englischen Feile: der Stein hielt sich. Er und Stoß hauchten dessen Glanz an: letzter hielt sich. Er legte den Stein auf einen Amboß und schlug mit einem Schmiedehammer gewaltig auf ihn ein: er bekam ein Grübchen, nicht der Stein, sondern der Amboß. Folglich hatt’ er nach allen Proben seinen ersten Diamanten verfertigt.»

Nikolaus Marggraf, Sohn eines Apothekers in Rom, einem kleinen Provinzkaff am Rande von Kleindeutschland, ist der illegitime Nachkomme eines Fürsten. So jedenfalls lässt es der Autor Jean Paul die Mutter des Kindes auf dem Sterbebett beichten. Der Apotheker, stolz auf die Abkunft des Sohnes, schickt diesen an die Universität Leipzig. Nikolaus übernimmt später die väterliche Apotheke, wo er nicht nur Salben und Pillen herstellt, sondern auch alchemistische Experimente durchführt. Eines Tages gelingt es ihm Diamanten herzustellen. Über Nacht zu grossem Reichtum gekommen, macht er sich auf die Suche nach seinem wirklichen Vater, in seinem Geleit eine Schar merkwürdiger Existenzen. Die Reise durch irreale Landschaften und Städte wird zu einer närrischen Odyssee im Don Quijote-Stil. In seiner Naivität und Unbeirrbarkeit hält der Titelheld der Welt einen Zerrspiegel vor.

Jean Paul (1763—1825) hiess eigentlich Johann Paul Friedrich Richter. Die Namensänderung geht auf seine grosse Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau zurück. Er wuchs in einem protestantischen Pfarrhaus in Oberfranken auf, wo er mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut gemacht wurde. Abseits der politisch-literarischen Zentren seiner Zeit bildete sich Jean Paul autodidaktisch. 1793 erschien sein erster Roman, Die unsichtbare Loge, danach eine ganze Reihe weiterer Romane und Erzählungen, in denen er als Stilmittel eine groteske Komik einsetzte, was dem Publikum gefiel und ihm grosse Auflagen beschied. 1825 starb er in Bayreuth. Jean Paul wurde von literarischen Grössen wie Goethe und Schiller nie akzeptiert. Schiller sagte über Jean Paul, er sei im fremd wie «einer, der aus dem Mond gefallen ist».

Jean Paul
Der Komet oder Nikolaus Marggraf —
Eine komische Geschichte
2002
Manesse Verlag, München
ISBN 3-7175-1998-0

Das Taschentuch

von Brigitte Kronauer

Das Taschentuch

«Wenn Willi in der Apotheke steht und alte, treue Kunden berät, dann trügt der Schein.» Da sie hier eine Pause einlegte, konnte ich mir schnell ausmalen, wie Willi den Leuten mit Absicht oder aus Inkompetenz falsche, ja möglichst tödliche Ratschläge erteilte oder Drogengeschäfte unter der Maske des Ehrenmannes auf das Kaltblütigste mit ihnen abwickelte oder volltrunken war und sich, um aufrecht stehen zu können, zwischen die Regale klemmte, damit die Vertikale bewahrt blieb.»

Im Roman «Das Taschentuch» entwirft die deutsche Schriftstellerin Brigitte Kronauer anhand einer Begegnung ein Sittenbild der bürgerlichen westdeutschen Kultur am Ende des 20. Jahrhunderts: Irene Gartmann, die Schriftstellerin, und Willi Wings, der Apotheker, sind seit ihrer Kindheit miteinander befreundet. Willi Wings ist ein ziemlich kauziger Zeitgenosse, der es immer allen recht machen will. Anlässlich einer Dichterlesung in einer norddeutschen Stadt begegnen sich die beiden wieder. Die Schriftstellerin nähert sich dem Menschen Willi Wings an. Das Taschentuch, ein weisses Quadrat, ist ein Accessoire, das Willi immer auf sich trägt und das von Zeit zu Zeit in einem lauten und dröhnenden Ritual zur Anwendung kommt.

Brigitte Kronauer wurde 1940 in Essen geboren und lebt heute in Hamburg. Sie ist eine der sprachmächtigsten und ambitioniertesten Schriftstellerinnen im deutschen Sprachraum und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Die Frau in den Kissen (1990), Teufelsbrück (2000), Errötende Mörder (2007), oder Zwei schwarze Jäger (2009) gehören zu ihren bekanntesten Werken.

Brigitte Kronauer
Das Taschentuch
2001, 320 Seiten
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
ISBN 978-3-423-12888-9

Grimsels Zeit

von Dieter Bachmann

Grimsels Zeit

«Zihlmann wischte mit einer grossen Bewegung über den Ladenraum hin. Schönheit, Kinderpflege und -ernährung, Gesundheitspflege der Erwachsenen mit all ihren Möglichkeiten zwischen Naturheilmitteln und chemischer Pharmazie, das ist unser zentraler Frontabschnitt.

Zahnbürsten, Zahnpasta, dann Kämme, Bürsten, Badeschwamm, die einfachen Gesichtscremes, Körpermilch. Rasiercreme, Pinsel, Klingen, ich sage wiederum nur Gillette, ja, alles was neu und gut ist, kommt aus Amerika, tägliche Gebrauchsgegenstände und also, Max, unser tägliches Brot. Intimpflege. Vergessen wir den weiblichen Zyklus nicht, dieses Geschenk Gottes an seine Drogisten. Ich sage nur: Camelia.»

«Grimsels Zeit» ist ein Roman über die Einsamkeit des Erwachsenwerdens und über das Rätsel der Herkunft. Geschrieben hat ihn der Schweizer Schriftsteller Dieter Bachmann. «Grimsels Zeit» ist aber auch ein Buch über die Liebe zu afrikanischen Elefanten und schliesslich auch zu einer Frau aus Fleisch und Blut. Zugleich ein Roman über ein Land, das sich unberührt fühlte vom Krieg. Also ein Buch über den Hang zu vergessen und den Drang, nach oben zu kommen, über Kummer und Konjunktur. Kraftvoll, ironisch, poetisch, wohl dokumentiert und erfindungsreich wird in den Lebenspassagen des heranwachsenden Grimsel ein Stück Schweizer Nachkriegsgeschichte gegenwärtig. Für einmal ist nicht ein Apotheker Hauptfigur, sondern Zihlmann, Drogist und Pall-Mall-Raucher.

Dieter Bachmann hat an der Universität Zürich Germanistik und Philosophie studiert. Er war Redaktor bei der Weltwoche, dem Tages-Anzeiger-Magazin und Chefredaktor der Kulturzeitschrift «du». Bachmann hat verschiedene belletristische Werke und Sachbücher geschrieben sowie Theaterstücke verfasst.

Dieter Bachnann
Grimsels Zeit
2002, 400 Seiten
Berlin Verlag, Berlin
ISBN 978-3-8270-0463-5

A ciascuno il suo – Jedem das Seine

von Leonardo Sciascia

A ciascuno il suo – Jedem das Seine

«Plötzlich gab sich der Apotheker einen Ruck. Er nahm den Brief, öffnete ihn und entfaltete das Blatt. Der Brief bestand aus Wörtern, die aus einer Zeitung ausgeschnitten waren. (...) Zwei Zeilen, nicht mehr. Sie lauteten: «Dieser Brief ist dein Todesurteil, für das, was du getan hast, musst du sterben.» Er faltete es zusammen und legte es auf den Ladentisch. «Ein Scherz», sagte er, und das meinte er wirklich.»

Die Morddrohung ist eine Schlüsselstelle im Roman «A ciascuno il suo» des italienischen Schriftstellers Leonardo Sciascia. Er zeichnet darin meisterhaft ein Gesellschaftsbild aus dem Sizilien der sechziger Jahre, in dem die Korruption ein ganzes Dorf durchdringt. Der Drohbrief, den der brave Apotheker Manno erhalten hat, wird allseits als Scherz wahrgenommen. Zwei Tage später wird er jedoch auf der Jagd erschossen und mit ihm sein Freund, der Arzt Dottore Rosello. Zwei unbescholtene Bürger hinterhältig umgebracht – die Carabinieri sind bald am Ende mit ihrem kümmerlichen Latein. Aber den Lehrer Laurana beginnt die Sache zu interessieren. Ein zufälliger Fund gibt zunächst einen Hinweis auf die Katholische Kirche. Seine Nachforschungen bringen den Lehrer selbst in Gefahr.

Leonardo Sciascia wurde 1921 in Racalmuto in Sizilien geboren. Er bildete sich zunächst als Lehrer aus und war in den siebziger Jahren als Vertreter der Kommunistischen Partei Italiens im Stadtrat von Palermo. 1978 wurde er als Abgeordneter der Radikalen in das Europaparlament gewählt. Er hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das sich hauptsächlich mit den gesellschaftlichen Strukturen und dem politischen Machtsystem beschäftigt, angefangen beim faschistischen bis hin zum christdemokratischen Italien. Die Frage der Schuld und Unschuld nimmt dabei eine zentrale Stellung ein. Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt. Leonardo Sciascia starb 1989 in Palermo.

Leonardo Sciascia
Jedem das Seine. Ein sizilianischer Kriminalroman.
2. Auflage 2012, 139 Seiten
Wagenbach Verlag, Berlin
ISBN 978-3-8031-2687-0